Neue Entwicklungen in der Maschinensicherheit

Das war der Deutsche Kongress für Maschinensicherheit 2023

Am 20. und 21. Juni 2023 fand der jährliche Deutsche Kongress für Maschinensicherheit in Nürtingen zum 9. Mal statt. Auch dieses Jahr stieß der Kongress auf reges Interesse und brachte insgesamt etwa 100 Profis aus dem Maschinen- und Anlagenbau zusammen, die zwei spannende Tage erleben konnten.

Angesichts gleich mehrerer zuletzt in Kraft getretenen oder in Kürze erwarteten maßgeblichen Rechtsvorschriften für den Maschinenbau, mussten die Themen für den diesjährigen Kongress Maschinensicherheit nicht lange gesucht werden. Im Fokus stand natürlich die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230, welche am 19.07.2023 nun endlich in Kraft getreten ist.

Nach der Begrüßung durch Stephan Grauer (WEKA MEDIA) und Dr. Arun Kapoor (Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB) gab zum Einstieg Dr. Michael Ottmann (Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik) allen Teilnehmern einen Überblick über die grundlegenden Neuerungen gegenüber der Richtlinie 2006/42/EG, die neuen sowie geänderten Anforderungen an die Marktakteure und das (zukünftige) Konformitätsbewertungsverfahren. Die neue Verordnung über Maschinen, die ab dem 20.1.2027 ausschließlich anzuwenden ist, hält neben der Anpassung an den NLF auch selbstlernende Maschinen und einen neu gestalteten Anhang I über so genannte „Hoch-Risiko-Maschinen“ bereit.

Im Anschluss widmete sich Rechtsanwalt Dr. Arun Kapoor (Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB) in seinem Vortrag „Die digitale Betriebsanleitung – was ist zulässig und was nicht?“ aus juristischer Sicht den neuen Vorgaben zu Betriebsanleitungen für Maschinen und arbeitete heraus, ob und in welchen Konstellationen künftig digitale Formate zulässig sind. Er ging insbesondere auf Ausnahmen und problematische Fallkonstellationen ein und zeigte auf, welche rechtlichen Konsequenzen bei Verstößen gegen die neuen Vorgaben zu erwarten sind.

Dr. Arun Kapoor hatte überdies wieder die Rolle des Kongressleiters inne und führte souverän und nicht ohne Humor durch das Programm.

Im Fokus: Post-Brexit, Industrial Security, digitale Betriebsanleitung, Funktionale Sicherheit, RoHS-Compliance und CE-Konformität

Im Rahmen der anschließenden parallelen Foren konnten sich die Teilnehmer über verschiedenste Aspekte und Neuerungen der Maschinensicherheit und des Produktrechts informieren.

Jörg Ertelt (CE-AKADEMIE) beschäftigte sich anhand theoretischer Überlegungen und praktischer Beispiele mit dem verzwicktem Thema „Kombination aus Produkten und Teilen versus Kombinationsprodukt: Wann ist die CE-Kennzeichnung erforderlich?“, Dr.-Ing. Manuel Schön (Pilz GmbH & Co. KG) sprach über die Anforderungen, die sich aus der Norm für fahrerlose Transportsysteme (FTS) / Autonome Mobile Roboter (AMR) – ISO 3691-4 – ergeben, sowie über die sicherheitstechnischen Herausforderungen von fahrerlosen Transportsystemen und weiter welchen normativen Hintergrund die Maschinenrichtlinie und nicht zuletzt die neue EU-Maschinenverordnung dazu bietet und Joachim Bischof (Festo SE) beschäftigte sich mit der RoHS Compliance im Maschinen- und Anlagenbau und der Frage, inwieweit sein Produkt der RoHS-Richtlinie unterliegt und wie er seine Lieferkette dahingehend absichert, um die Konformität erklären zu können.

In dem Vortrag „Haben Maschinensicherheit und Obsoleszenz-Management Gemeinsamkeiten?“ stellte Martin Steinleitner (Syliom Unternehmensberatung Dr. Heinbach, Steinleitner & Partner, International Institute of Obsolescence Management) dem Publikum das Obsoleszenz-Management (OM) vor und zeigte auf, wie Maschinensicherheit mit einem proaktives OM aktiv gemanagt und auf Eventualitäten wie Abkündigungen und unsichere Supply Chains schnell und flexibel reagiert werden kann.

In weiteren Referaten erörterte Michael Loerzer (Globalnorm GmbH) das ebenfalls für die Maschinenbaubranche hochbrisante Thema der Produktkonformität nach dem Brexit insbesondere im Kontext der neuen Maschinenverordnung, während Torsten Gast (PHOENIX CONTACT) in einer Online-Live-Zuschaltung sich mit dem wichtigen Thema Industrial Security und den Anforderungen an die Hersteller nach der neuen EU-Maschinenverordnung beschäftigte.

Die Normen ISO 13849-1 und IEC 62061 stellen für den Maschinenbereich die wichtigsten Normen zur funktionalen Sicherheit dar. Nachdem die Arbeiten für eine Zusammenlegung der beiden Normen nicht erfolgreich waren, wurden beide Normen im Rahmen der üblichen „Maintenance“ überarbeitet. Thomas Bömer (Institut für Arbeitsschutz – IFA) stellte die Ergebnisse nun unserem Publikum vor. Sie zeigen einerseits inhaltliche Annäherungen, andererseits deutliche Unterschiede was z.B. den Einsatz von Standardkomponenten oder die Anforderungen zu Software und elektromagnetischer Störfestigkeit angeht.

Dieter Gust (GustDesign, Hochschule München) setzte sich mit der digitalen Betriebsanleitung nach der neuen EU-Maschinenverordnung auseinander, insbesondere zur Machbarkeit der Umsetzbarkeit. Die Teilnehmer bekamen eine Vorstellung dazu, was sich in Zukunft genau für die Digitale Betriebsanleitung ändern wird, inwieweit nun (endlich) Freiheit beim Verteilen besteht. Oder auch nicht.

Jede Menge zu Lachen gab es für die Teilnehmer bei der Abendveranstaltung mit Dr. Oliver Tissot. Der bekannte Stand-Up-Comedian aus Franken fasste den ersten Kongresstag genial-humoristisch zusammen. Einem Hofnarren gleich hielt er den Referenten und Teilnehmern den Spiegel vor und bewies, dass auch Maschinenverordnung, Cybersecurity und Obsoleszenz-Management saukomisch sein können (Peter und Paul!).

Am zweiten Kongresstag konnten die Teilnehmenden Ihr Wissen in zwei parallelen Workshops vertiefen. Viel besucht wurde der Workshop zum Thema „Wird das Thema ‚Wesentliche Veränderung von Maschinen‘ von der neuen EU-Maschinenverordnung wesentlich verändert?“, geleitet von Jörg Ertelt. Im zweiten Workshop, geleitet von Ralf Sachsenweger (QPS Europe B.V.), stand diesmal die Praxis im Vordergrund, nachdem im letzten Jahr über die Änderungen in der US-Schaltschranknorm und über Probleme sowie Lösungen in der globalen Anwendung bei Schaltschränken gesprochen wurde. In der Workshopgruppe wurden nun die "Fallstricke“ behandelt, welche den Firmen viel Zeit und auch Geld kosten können. Der Workshop wendete sich neben Elektrokonstrukteuren auch an Projektmanager und regulatory affairs Verantwortliche von Unternehmen mit Exportziel Nordamerika.

Neue Formate bieten viel Raum für Fragen und Diskussion

Angesichts dieser spannenden Themen und den hochkarätigen Experten war das rege Interesse an fachlichem Austausch und Diskussion wenig verwunderlich. Wieder bewährt hat sich das etablierte Format der Agenda, zusätzlich zu den Vorträgen auch Foren zu spezifischen Themen anzubieten.

Aber auch der neue CE-TALK bot den Teilnehmern die Möglichkeit, weiter zu diskutieren, aber auch individuelle Fragen aus ihrer praktischen Arbeit rund um das Thema Maschinensicherheit zu erörtern sowie Ideen und ihre Erfahrungen hierzu auszutauschen. Diese neue Plattform zum intensiven Austausch mit den Experten wurde intensiv genutzt.

In den Pausen ergaben sich weitere Gespräche, auch an den Ständen der ausstellenden Firmen. Vor Ort vertreten waren Experten der Unternehmen Hans Turck GmbH, DEKRA Automobil GmbH, Dina Elektronik GmbH, QPS Evaluation Services Inc. und WEKA Media GmbH & Co. KG mit seiner Software WEKA Manager CE.

KI, Cybersecurity und Maschinenverordnung im Blick

Die einen Kongresstag jeweils abschließenden Vorträge wagten einen Blick in die Zukunft. Rechtsanwalt Dr. Torsten Kraul (Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB) beleuchtete in seinem Vortrag „KI und Cybersecurity – Neuer Rechtsrahmen für den Maschinen- und Anlagenbau“ die praktischen und vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Cybersecurity im Kontext des geplanten AI Act und des Sicherheitsgesetzes 2.0 sowie der KI-Haftung.

Last but not least ordnete Otto Görnemann, Experte für Normung und Safety bei der Sick AG in seiner Abschluss-Keynote die neue EU-Maschinenverordnung aus Perspektive der Wirtschaftsakteure ein. Otto Görnemann hat das gesamte Gesetzgebungsverfahren von Anfang als Beteiligter in diversen Normungsgremien intensiv begleitet, daher erhielten die Teilnehmenden auch einen Einblick, welche Probleme und Themen in den kommenden 42 Monaten bis zum Inkrafttreten noch geklärt werden müssen.

Gerade diese Hintergrundinfos zu den neuen Verordnungen waren für alle Teilnehmer, Referenten und anwesenden Firmenvertreter wertvoll und die Entwicklung bleibt spannend. Mit Sicherheit wird man auf dem nächsten Deutschen Kongress für Maschinensicherheit 2024 mehr erfahren und weiterdiskutieren können.

Die WEKA Akademie dankt allen Referenten und Experten für die engagiert präsentierten Vorträge und ebenso allen Teilnehmenden für das rege Interesse und den wertvollen Austausch.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in 2024!

Termin, Programmanforderung und nähere Informationen finden Sie in Kürze unter: www.kongress-maschinensicherheit.de.