Maschinenverordnung: Was jetzt auf die Hersteller zukommt

Das war der Deutsche Kongress für Maschinensicherheit 2024

Am 05. und 06. März 2024 fand der jährliche Deutsche Kongress für Maschinensicherheit zum 10. Mal in Folge statt. Über 100 Profis aus dem Maschinen- und Anlagenbau kamen in Niedernhausen wieder zusammen und erlebten zwei spannende Tage mit Fachvorträgen, vertiefenden Workshops, unserem bewährten CE-Talk sowie einer inspirierenden Abendveranstaltung.

Dr. Kapoor bei der Eröffnung des Kongress Maschinensicherheit 2024.

Angesichts gleich mehrerer zuletzt in Kraft getretenen oder in Kürze erwarteten maßgeblichen Rechtsvorschriften für den Maschinenbau, mussten die Themen für den diesjährigen Kongress nicht lange gesucht werden. Im Fokus stand selbstverständlich die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 [MVO], welche am 19.07.2023 in Kraft getreten ist und ab dem 20.01.2027 ausschließlich anzuwenden ist.

Dr. Arun Kapoor (Rechtsanwalt und Partner, Noerr Partnerschaftsgesellschaft) hatte wieder die Rolle des Kongressleiters und führte souverän und nicht ohne Humor durch das Programm.

Zum Auftakt gab Dr. Michael Ottmann (Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik – ZLS) allen Teilnehmern aus erster Hand einen Überblick über die wesentlichen Neuerungen und Einblicke in das Gesetzgebungsverfahren. Er erläuterte, was sich seit der Veröffentlichung der Maschinenverordnung geändert hat. "Obwohl aus technischer Sicht eine Maschine unverändert sicher ist, sind künftig teilweise andere oder neue Verfahren vor dem Anbringen der CE-Kennzeichnung notwendig.", so Dr. Michel Ottmann.

„Ein Schritt vor und einer zurück. Geht auch ein bisschen mehr?“ In einer Art Zwiegespräch wurde das viel diskutierte Thema „Digitale Betriebsanleitung nach neuer MVO“ von zwei Seiten beleuchtet – aus juristischer Sicht durch Dr. Arun Kapoor und aus Sicht der Technischen Redaktion durch Dieter Gust (GustDesign, Hochschule München, tekom), der den Mythos der absoluten Papierpflicht mit Fakten und Logik widerlegte. Die Teilnehmer bekamen eine Vorstellung davon, was sich für die digitale Betriebsanleitung in Zukunft genau ändern wird, inwieweit es nun (endlich) Freiheit beim Verteilen gibt. Oder auch nicht.

Im Fokus: Harmonisierte Normen, Cybersecurity, RAPEX-Risikobewertung, Ökodesign-Anforderungen, SBOM, Schwachstellen-Management, CE-Konformität

Im Rahmen der anschließenden parallelen Foren konnten sich die Teilnehmer über verschiedenste Aspekte und Neuerungen der Maschinensicherheit und des Produktrechts informieren.

Im Forum I ging Michael Loerzer (Globalnorm) der Frage "Harmonisierte Normung unter der neuen MVO – Was tun, wenn die Normen fehlen?“ nach. Derzeit gibt es eine ganze Reihe von bereits ratifizierten harmonisierten Normen, die noch nicht im EU-Amtsblatt veröffentlicht sind. Darüber hinaus müssen aufgrund der neuen MVO theoretisch viele Normen angepasst werden. Er gab einen aktuellen Überblick über die Situation und wie Maschinenhersteller damit umgehen sollten. Sein Statement hierzu: „Der gesamte Ablauf der Listung von harmonisierten Normen im EU-Amtsblatt ist dermaßen juristisch geprägt, dass das eigentliche Erfolgsmodell der Europäischen Normung auf dem Spiel steht. Eigentlich müsste Europa im Zusammenhang mit der zunehmenden Einflussnahme Chinas eher eine starke Rolle in der Normung einnehmen.“

Neue Technologien, steigende Komplexität, Kosten- und Zeitdruck, fehlendes Know-how sowie mangelndes Sicherheitsbewusstsein erfordern von Maschinen- und Anlagenherstellern eine verstärkte Cybersecurity, um die Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Anhand einiger Fallbeispiele von Hackerangriffen der jüngsten Vergangenheit erläuterte Bernd Gehring (ditis Systeme) anschließend die Notwendigkeit von Cybersecurity sowie die rechtlichen und normativen Anforderungen und gab Empfehlungen zu deren praktischen Umsetzung.

In einem weiteren Beitrag zeigten Joachim Bischof und Markus Werthschulte am Beispiel der Festo SE & Co. KG auf, wie das Thema „Nachträgliche Risikobewertung von Maschinenkomponenten nach der RAPEX-Methode“ in einem Unternehmen angegangen werden kann und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind. Sie zeigten in diesem Erfahrungsbricht auf, welche Schwierigkeiten aufgrund von Unklarheiten auftreten können, für die das Unternehmen eine eigene begründete Vorgehensweise definieren muss.

Die neue Maschinenverordnung enthält Anforderungen an die Cybersicherheit sowie an autonome / ferngesteuerte Maschinen und KI-Anwendungen im Bereich der Sicherheit. Hierfür wird Software benötigt. Warum eine sorgfältige Auseinandersetzung mit diesen Themen für Unternehmen wichtig ist und immer wichtiger wird, beleuchtete Martin Steinleitner (Syliom Unternehmensberatung) in seinem Beitrag zu „Software Bill of Materials (SBOM)“. "Insbesondere die Obsoleszenz von Software kann zu hohen Kostentreibern führen, die nicht sofort offensichtlich sind.", so Martin Steinleiter.

Was kommt nach der Implementierung von Security Maßnahmen? Dieser Frage ging Frank Eberle (Pilz GmbH) nach. Steigende Komplexität und Kostenbewusstsein führen dazu, dass bei der Entwicklung von Safety-Komponenten vermehrt Softwarekomponenten von Drittherstellern eingesetzt werden. Diesem Umstand müsse, so Frank Eberle, durch die Erstellung einer Software Bill of Materials (SBOM) und der Etablierung eines Schwachstellenmonitorings und -managements Rechnung getragen werden. Wie, das erklärte er anschaulich allen Teilnehmern des Forums II. "Die Supply Chain Security wird uns vor große Herausforderungen stellen. Daher ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Komponentenhersteller und Maschinenbauer wünschenswert.", so Frank Eberle.

Das Thema Software und die neuen Anforderungen in der neuen Maschinenverordnung war ein heiß diskutiertes Thema auf dem Kongress. Viele waren sich einig, dass hier ein neues Denken seitens der Maschinenbauer gefordert sein wird.

Wie mit Veränderungen an Maschinen ab dem 20. Januar 2027 umzugehen ist und was genau die neue EU-Maschinenverordnung regelt, erläuterte anschließend Jörg Ertelt (Helpdesign). Er erörterte die Voraussetzungen, die zu einer Prüfung auf eine wesentliche Änderung führen, sowie die Kriterien, anhand derer entschieden werden kann, ob eine Änderung wesentlich ist oder nicht. Last but not least zeigte Jörg Ertelt die Konsequenzen auf, die sich aus der jeweiligen Entscheidung ergeben.

Von der Idee zur Systembeschreibung über die Risikoidentifikation und -minderung zur Validierung für eine Konformitätserklärung mit gutem Gewissen. Vor der Mittagspause zeigte Rudolf Bültermann (TÜV SÜD Industrie Service) in seinem Vortrag Wege auf, wie frühzeitig mit der Integration von Sicherheit begonnen werden kann und wie geeignete Werkzeuge helfen können, Risiken bereits in der Planungsphase zu minimieren. "Wenn die Integration der Sicherheit gelingt, ist sie auch beim Betreiben der Maschine nicht im Weg.", so Rudolf Bültermann.

Jede Menge zu Lachen aber auch viel Nachdenkliches und Inspirierendes gab es für die Kongressteilnehmer bei der Abendveranstaltung mit Marc Gassert. Marc Gassert, auch bekannt als der „blonde Shaolin“, analysierte die „TOOLBOX“ der Selbstdisziplin, also praktische, sofort anwendbare Werkzeuge aus der alten Philosophie und Gedankenwelt der Shaolin, die helfen, in Balance zu bleiben, empathisch, lebensfroh und gleichzeitig diszipliniert zu sein – und dieser verrückten Welt ein wenig gelassener zu begegnen.

Am zweiten Kongresstag konnten die Teilnehmer ihr Wissen in drei parallelen Workshops vertiefen. Sehr gut besucht war der von Dr. Arun Kapoor selbst geleitete Workshop „Einsatz von Gebrauchtmaschinen – was gilt nach Inkrafttreten der neuen EU-Maschinenverordnung? Hier wurde mit den Workshopteilnehmern diskutiert, was die MVO für Gebrauchtmaschinen regelt, welche sicherheitstechnischen Anforderungen für Gebrauchtmaschinen gelten und wie Arbeitsschutzrecht und Maschinenrecht ineinandergreifen.

Maschinen werden zunehmend vernetzt oder per Fernwartung zugänglich gemacht. Daraus können sich Gefahren und Risiken ergeben. Im zweiten Workshop „Schutz gegen Korrumpierung – Anforderungen an die Cybersecurity nach der EU-Maschinenverordnung“ unter der Leitung von Jörg Ertelt wurden Herausforderungen und Lösungsansätze für diese Problematik diskutiert und erarbeitet.

Im dritten Workshop zur Digitalen Betriebsanleitung unter der Leitung von Dieter Gust ging es um die praktische Umsetzung. In einer FAQ-Runde wurden die wichtigsten Fragen dazu gemeinsam erarbeitet und beantwortet. Unter anderem die Frage nach dem Grundkonzept („digital only“ oder „wesentliche Sicherheitsinformationen auf Papier und/oder am Produkt“), welche Digitalisierungskonzepte, Formate, Medien sich anbieten.

Innovative Formate bieten viel Raum für Fragen und Diskussion

Angesichts dieser spannenden Themen und den hochkarätigen Experten war das rege Interesse am fachlichen Austausch und an Diskussionen wenig verwunderlich. Wieder bewährt hat sich der CE-TALK, der den Teilnehmern die Möglichkeit bot, weiter zu diskutieren, aber auch individuelle Fragen aus ihrer praktischen Arbeit rund um das Thema Maschinensicherheit zu erörtern sowie Ideen und ihre Erfahrungen hierzu auszutauschen.

In den Pausen ergaben sich weitere Gespräche, auch an den Ständen der ausstellenden Firmen. Vor Ort vertreten waren Experten der Unternehmen Hans Turck GmbH, TÜV SÜD Industrie Service GmbH und Bihl+Wiedemann GmbH.

Im Blick: KI und Konformitätsbewertungsverfahren nach neuer Maschinenverordnung

Die jeweils einen Kongresstag abschließenden Vorträge beschäftigten sich mit zwei wichtigen Aspekten, die künftig für alle Maschinen- und Anlagenhersteller interessant werden.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Klindt (Noerr Partnerschaftsgesellschaft) erläuterte in seinem Vortrag zur Künstlichen Intelligenz (KI) im Maschinen- und Anlagenbau die rechtlichen Chancen und rechtliche Risiken. „Vor lauter Reden über KI-Risiken sollten wir nicht vergessen, welche großartigen Chancen das für die europäische Industrie bietet!“ so sein Statement zum Thema.

Last but not least gab Dirk Heeren (Sick Vertriebs-GmbH) eine Entscheidungshilfe für das richtige Konformitätsbewertungsverfahren. Die Konformitätsbewertung unterliegt Qualitätsanforderungen und gesetzlich geregelten Verfahren der (noch) MRL und zukünftig der MVO. Dirk Heeren gab einen hilfreichen Überblick über die Kriterien und die Auswahl der Verfahren zur Bewertung der Konformität mit der Maschinenverordnung. Insbesondere ging er auf die Neuerungen und Änderungen zur aktuell gültigen MRL ein.

Gerade diese Hintergrundinformationen zu neuen technologischen und produktrechtlichen Entwicklungen und Umsetzungsempfehlungen waren für alle Teilnehmer, Referenten und anwesenden Unternehmensvertreter wertvoll. Und es bleibt weiterhin spannend. Sicherlich wird man auf dem nächsten Deutschen Maschinensicherheitskongress 2025 Konkreteres erfahren und weiter diskutieren können. Die ASI Akademie für Sicherheit bedankt sich an dieser Stelle bei allen Teilnehmern, Referenten, Herrn Dr. Arun Kapoor, Ausstellern, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für zwei gelungene Kongresstage.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in 2025!

Termin, Programmanforderung und nähere Informationen finden Sie in Kürze unter: www.kongress-maschinensicherheit.de.

Tipp:

Eine detaillierte Übersicht darüber, was sich mit der neuen Maschinenverordnung ändert, vermitteln wir Ihnen kompakt in unserer Online-Schulung „Die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 – was Sie jetzt wissen sollten!“ (Web Code PS-MVO)